KRITIKEN

KEINE INSEL

Zum Tellerrand Europas

In seinem Film „Keine Insel“ thematisiert Fabian Eder die Flüchtlingspolitik der EU. Ein poetischer Essay als politisches Statement: Am Sonntagabend in ORF2.

17.05.2014 | 18:07 |  von Isabella Wallnöfer  (Die Presse)

Am Ende waren 366 tot. Menschen, die ein sicheres Leben suchten – eines, das ihnen die Heimat nicht bieten konnte oder wollte. Sie haben die Flucht angetreten – aus wirtschaftlichen, politischen, manche aus religiösen Gründen. Vielleicht waren es auch Leute, die es einfach besser haben wollten, eine bessere Zukunft für ihre Kinder suchten? Am 3. Oktober 2013 endete ihr Weg im Ionischen Meer vor Lampedusa in einer der bittersten Flüchtlingskatastrophen – knapp vor den Toren Europas. Schon wenige Wochen nach dem Unglück machte sich der Autor und Filmemacher Fabian Eder auf den Weg übers Meer – von Griechenland nach Malta, Lampedusa und Sizilien, um für den Film „Keine Insel“ die Spur der Bootsflüchtlinge aufzunehmen und zu erkunden, wie sie am Ziel aufgenommen werden.
„Problem Asyl wird abgeschoben.“ Wie ist Eder auf die Idee gekommen, mitten im Winter in einem zwanzig Jahre alten Segelboot in See zu stechen? „Auslöser war jene Mitteilung vom letzten EU-Gipfel Ende Oktober, in der es hieß, dass die Staats- und Regierungschefs ihre ,Migrationspolitik auf der europäischen Ebene‘ nach den Tragödien von Malta und Lampedusa wohl nicht verändern würden“, schrieb Eder Ende November in seinem Blog. „Während die national ausgerichtete Politik am Kontinent froh ist, dass sie das Problem der Migration und des Asyls auf die Inseln weit draußen abschieben und damit aus dem Blickfeld verbannen kann, ist es eine vergleichsweise winzige Gruppe von europäischen Mitbürgern, welche am äußeren Rand des vollen Tellers Europa lebt und damit allein zurecht kommen muss.“
Gemeinsam mit Matias Lackner, Christoph Grasser und Marcus Schindler-Strauss segelte er auf dem kleinen Segelboot „Europa“ los und traf auf unerwartete Sorgen – und ebenso unerwartete Gastfreundschaft.
Die Sorgen kamen zuerst. Was, wenn man bei der nächtlichen Fahrt vor Malta plötzlich auf eines dieser meist völlig überfrachteten Flüchtlingsboote stößt? Dreißig, vierzig Menschen könnte die „Europa“ nicht fassen– einfach weiterfahren wäre undenkbar. Nach Italien mitnehmen dürfte man die illegalen Einwanderer jedoch auch nicht, obwohl das Seerecht gebietet, sich um Menschen in Not zu kümmern. Aber wer Flüchtlinge mit nach Italien nimmt, macht sich der Schlepperei schuldig… „Europa steht trotz seiner christlichen Grundwerte den Dramen im südlichen Mittelmeer völlig hilflos – oder ignorant? – gegenüber. Die Menschen, die an der südlichen Außengrenze der Union leben, werden mit diesen Problemen allein gelassen“, heißt es auf der Homepage europeinbloom.eu/noisland/.
Weniger eine Doku, eher ein Essay. Das Dilemma bleibt ein theoretisches, denn die „Europa“ schippert allein über die winterliche See. Ungemütlich schaut das aus, und man kann sich vorstellen, wie es den Flüchtlingen ergeht, die ihre Überfahrt ohne adäquate Ausrüstung antreten, ohne Essen, Wasser und adäquate Kleidung.
Gemächlich nähert sich Eders Kahn dem ersten Ziel: Malta. Gemächlich fließt auch sein Film dahin – es ist keine Dokumentation, eher ein Essay, in dessen Verlauf der Erzähler Menschen trifft, die er unvoreingenommen und neugierig nach ihrer Meinung, ihren Erfahrungen und Empfindungen fragt. Den jungen Mann, der Angst hat, die Flüchtlinge könnten ihm den Job wegnehmen. Die Frau, die sich vor Angriffen der für sie fremd aussehenden Afrikaner fürchtet. Aber auch die Fischer, die zwar kaum Geld, aber Mitleid haben: Wir nehmen jeden auf, der in Not ist, sagen sie. Und er trifft eine Lokalpolitikerin, die von Europa humanitäres Engagement einfordert und anprangert, dass die Länder, die die Flüchtlingsströme beklagen, gleichzeitig durch Waffengeschäfte vom Leid in den Krisenregionen profitieren.
Eders Regiedebüt galt der Verfilmung von Barbara Frischmuths Roman „Die Schrift des Freundes“, auch zwei „Tatort“-Episoden stammen von ihm. In „Keine Insel“ arbeitet er nicht mit den bekannten dramatischen Bildern von Stacheldraht und trostlosen Flüchtlingscamps, um das Elend der europäischen Asylpolitik zu verdeutlichen. Er nimmt sich Zeit, eine dramatische Geschichte mit Poesie und Geduld zu entwickeln: Er zeigt havarierte Boote und menschenleere Plätze, zitiert John Donne und hört Teenagern zu, die mit leiser Stimme von zehrenden Odysseen über das Meer erzählen. Dabei wirft Eder immer wieder persönliche Fragen auf: „Ist eine Festung ein gemütlicher Platz zum Leben?“ Ein etwas anderer politischer Beitrag vor der EU-Wahl: Heute, Sonntag (18. Mai), 23.05Uhr, als „dok.film“ in ORF2.
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 18.05.2014)
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Nicht wir, die Flüchtlinge haben Probleme

Heinz Wagner, Kurier, 16.5.2014
Fernseh-Doku „Keine Insel“ – Fabian Eder unterwegs auf der „Europa“ vor Lampedusa, Malta und Sizilien.
Im Oktober des Vorjahres ertranken vor Lampedusa mehr als 350 Menschen, die aus elenden Bedingungen in ihren Heimatländern flüchten wollten. Wenige Wochen später machte sich der österreichische Filmemacher Fabian Eder mit einem kleinen Team auf einem Segelboot namens „Europa“ auf, um diese Insel sowie weitere Zufluchtsorte auf Malta und Sizilien zu besuchen. „Jetzt brennt das Thema unter den Nägeln, jetzt will ich wissen, was da los ist“, begründet er im KURIER-Gespräch seinen raschen Aufbruch trotz winterlicher, eisiger Kälte. „Keine Insel“, die knapp mehr als 50-minütige Doku läuft am Sonntag nach „Im Zentrum“ auf ORF2.
Erdrückende Bilder des riesigen Schiffsfriedhofes hinter dem Fischereihafen in Lampedusa oder lange ruhige Blicke auf Porta d’Europa (Tor nach Europa), das Mahnmal des italienischen Künstlers Domenico Palladino, das an all jene erinnert, die es nicht bis hierher geschafft haben, gehören ebenso dazu wie Gespräche mit Flüchtlingen, Bewohnerinnen und Bewohnern sowie lokalen PolitikerInnen.
Militarisierung
In Lampedusa mit seinen rund 4500 EinwohnerInnen, die zusätzlich rund 2000 Militärs und PolizistInnen beherbergen müssen, kommt vor allem eine Frau lange zu Wort, die Bürgermeisterin Giusi Nicolini: „Das, was Lampedusa so verändert hat, was das Schicksal der Insel so negativ beeinflusst hat, ist die gesamte Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, diese Abschottungspolitik Europas. Das führte zu einer militarisierten Insel, auf welcher die Bedürfnisse der Einwohner in den Hintergrund gedrängt worden sind“, sagt sie im Interview. Ruhig und sachlich plädiert sie für den menschlichen Umgang: „Wir sollten unseren Kindern bereits in der Volksschule beibringen, dass Migration etwas völlig natürliches ist und dass die Menschen immer aus den gleichen Gründen ein- und auswandern, nämlich wegen der Ernährung und wegen des Überlebens.“ Sie prangert den scheinheiligen Umgang knapp nach dem großen medialen Echo nach dem Tod hunderter Flüchtlinge auf einmal an: „Unsere Regierung hat die eritreische Regierung zu dem Begräbnis der 366 ertrunkenen Bootsflüchtlinge vom 3. Oktober eingeladen… hätte man rechtzeitig humanitäre Hilfe angeboten, dann hätte man sie jetzt nicht zu diesem Begräbnis einladen müssen.“
Willkürliche Grenzen
Aus vielen der Gespräche habe er selbst, so Eder zum KURIER, gelernt, dass viele der Menschen vor Ort sehr genau erkennen, dass „wir die Grenzen machen und das ziemlich willkürlich bestimmen, wer wo rein darf und wer nicht“ und dann lässt der Film einen Mann auf Sizilien zu Wort kommen der sagt: „Es sind doch nicht wir, die Probleme haben. Probleme haben die Flüchtlinge, sonst müssten sie nicht flüchten.“
Kommentierend zietiert der Film den englischen Dichter des 16./17. Jahrhunderts John Donne, der schrieb: „Niemand lebt als Insel,/Einsam für sich selbst./Jeder gehört zum Ganzen,…“
Heinz Wagner, Kurier, 16.5.2014
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Wo das Schweigen Europas aufregt

DORIS PRIESCHING 15. Mai 2014

In der Dokumentation „Keine Insel“ segelt der österreichische Regisseur Fabian Eder über Malta nach Lampedusa. Er stößt auf wütende Einheimische, resignierte Bootsflüchtlinge und auf eine Bürgermeisterin, die nicht aufgibt.

Am 3. Oktober 2013 ertrinken 366 Flüchtlinge wenige Meter vor der Küste der Europäischen Union. Österreichische Leserbriefschreiber kommentieren: „War – um stattet man die Bootsflüchtlinge nicht mit Schwimmflügerln aus?“ Und: „Wenn alle Schiffe sinken, haben wir auch keine Flüchtlinge zu befürchten. Eine Win-win-Situation.“ So viel zur in diesen Tagen gern beschworenen neuen Toleranz. Der Regisseur Fabian Eder liest diese veröffentlichten Auswürfe menschlicher Niedertracht. Und er liest diesen Brief: „Ich bin über die Gleichgültigkeit entrüstet. Mich regt das Schweigen Europas auf, das den Friedensnobelpreis erhalten hat.“ Geschrieben hat Giusi Ni colini, Bürgermeisterin von Lampedusa, und Eder will sie treffen. Die Fahrt nach Lampedusa von Malta über das Ionische ins Libysche Meer unternimmt er mit einem Segelboot. Was er erlebt, fasst er in dem Dokumentarfilm „Keine Insel“ (Sonntag, 18. Mai, 23.05 Uhr, ORF 2) zusammen. Ressentiments Die unbekannte Insel, auf die man alles schieben kann, gibt es nicht. In Malta stößt er vor allem auf die Ressentiments der Bevölkerung. 35.000 Flüchtlinge würden hier leben, schätzt einer. In Wahrheit sind es 60.000, die Ar beitslosigkeit sei nicht gestiegen, sagt die Sozialanthropologin Ma ria Pisani. Eder spricht mit Flüchtlingen, so etwa Alhaid, 17, der vor fünf Jahren aus Gambia floh und im Schlepperboot nach Lampedusa kam. Weil er minderjährig die Flucht überlebte, darf er nicht ausgewiesen werden. Giusi Nicolini will angesichts solcher Katastrophen der Mitmenschlichkeit Eu ropa nicht aus der Verantwortung entlassen: „Wir exportieren Waffen in diese Länder, die dazu führen, dass die Menschen Kriege führen und flüchten müssen“, sagt Nicolini. Während des Drehs bloggte Eder auf derStandard.at. Am 7. Jänner schloss er mit der Frage: „Was bedeutet Heimat für Sie?“ Eine Aufforderung.
(Doris Priesching, DER STANDARD, 15.5.2014)